Vom Teilen

written by Martin Häcker on

(Geschrieben für das Sternbuch meiner Familie)

Wenn man über das Teilen sprechen will, dann muss man diesen Begriff zuerst festklopfen.

Teilen kann man verschiedene Dinge. Dinge, die man anfassen kann und solche, die man nicht anfassen kann. Brot zum Beispiel kann man anfassen - und wenn man es unter mehreren aufteilt, dann hat man selbst weniger. Wenig überraschend ist es eines der drängendsten Probleme unserer Zeit, wie wir mit unserem knappen Trinkwasser umgehen. Pah, Öl. Trinkwasser!

Dann gibt es Dinge, die man anfassen kann - aber die man sowieso nur so kaufen kann, dass man sie alleine - außer in Extremfällen - gar nicht verbrauchen kann. Ein Auto zum Beispiel steht bei den meisten Menschen die meiste Zeit herum. Ab und zu jemanden mitzunehmen bringt da eine Menge - in manchen Gegenden sogar das Recht überhaupt fahren zu dürfen, damit weniger Verkehr ist.

Und dann gibt es jede Menge Dinge die man nicht anfassen kann - Liebe, Zuwendung, Musik, Freude, Theater, Humor...

Für einige davon wird in unserer Kultur eher nicht bezahlt. Liebe und Zuwendung zum Beispiel.

Für andere Dinge aber schon. Musik und Theater zum Beispiel. Die werden in unserer Gesellschaft meist industriell hergestellt, als CDs, Kino oder DVDs.

Lebt man, wie ich, schon größtenteils in einer Welt, in der solche geistigen Dinge vermehrt kopiert und geteilt werden, ohne dass sich etwas Greifbares bewegt, dann muss man sich früher oder später die Frage stellen: Was geht mir verloren, wenn ich zum Beispiel ein Lied singe, und meine Freundin das hört, dann mitsingt und es schließlich auch alleine singen kann? Habe ich wirklich weniger? Ist ein Lied teilen nicht Verbundenheit und habe ich damit sogar mehr als vorher? Oder abstrakter: Was verliere ich, wenn ich mit jemandem etwas teile, ohne dass ich danach weniger habe?

Diese schöne neue Welt hat natürlich einen Haken - denn wie für fast alles gibt es auch hier eine Industrie und Lobby - und die wollen von dem, was sie "schon immer" gemacht haben, weiterhin leben.

Dabei darf man aber den Blick für die Realität nicht verlieren - wer tatsächlich Kunst schafft, zum Beispiel als Musiker, verdient und verdiente - bis auf wenige Ausnahmen - immer schlecht. Es gibt viel mehr Künstler als Plattenfirmen produzieren wollen - und das drückt den Preis. Denn die Plattenfirmen leben davon, Hits zu produzieren - aber nicht zu viele, damit sich jeder einzelne auch lohnt.

Und diese verhältnismäßig kleine Industrie fordert jetzt, dass wir als Gesellschaft die beschriebenen Nuancen des Teilens vergessen sollen - und alle Dinge, auch die geistigen, betrachten sollen wie Brot. Als hätte man, wenn man sie teilt, selbst weniger. Vielleicht nimmt man dort an, dass wir auch nur die Intelligenz von selbigem besitzen.

Was würden wir wohl heute machen, wenn die Ochsenkarren-Industrie fordern würde, dass ab heute alle Straßen nur noch auf dem Standstreifen mit Autos befahren werden dürfen, damit der Rest endlich für ungehindertes Durchkommen mit Ochsenkarren frei wird?

Provokant gesagt: Das Geld wird eben heute anders verdient. Na und?

Mancher mag das für ein wenig wichtiges Thema halten - dabei bedeuten die hier besprochenen feinen Nuancen des Teilens eine Revolution. Wikipedia legt einen Grundstock an geteiltem Wissen an, der zeigt, wo es hingehen kann, wenn man zulässt, dass Teilen zum Grundprinzip wird. Open Source-Software verändert komplett die Weltwirtschaft, weil ärmere Länder plötzlich keinen Grund mehr haben, viel Geld an den ohnehin schon reichsten Mann der Welt zu bezahlen. Regierungen wie Deutschland setzen Open Source-Software ein, um sicher zu sein, dass kein ausländischer Geheimdienst Hintertüren in ihre technischen Systeme einbaut, und auf der anderen Seite nutzen Privatpersonen die selbe Software, um kontrollwütigen Regimen wie in China entgehen zu können. Auch Künstler entdecken immer mehr, dass sie ihr dringendstes Problem - wahrgenommen zu werden - durch die Freigabe ihrer Kunst viel besser erreichen können, als wenn sie darauf warten, von einer (Platten-)Firma entdeckt zu werden.

Diese Revolution, die uns erlaubt, mit geistigen Gütern so umzugehen wie es ihnen gebührt, hat gerade erst als technische Revolution begonnen - und wird noch lange Zeit weitergehen, bis der soziale Teil dieser Revolution abgeschlossen ist.

Jetzt durch kurzfristige und eilig durchgeführte Regulierungen das Kind mit dem Bade auszuschütten, bedeutet, dass diese Entwicklungen um Jahrzehnte verzögert, vielleicht sogar vollständig verhindert werden könnten. Vernünftige Politik ist hier abwartend - und lässt neues mutig zu, ohne es zu verteufeln.